Mario Faltin, Maler (1952-2005)
Mario Faltin war Maler aus ganzer Überzeugung. Als er 1989 das Angebot erhielt, sein umfassendes Talent als fest angestellter Bühnenmaler an der Schaubühne Berlin einzubringen – eine Aufgabe, um die ihn sicherlich viele andere beneidet hätten – lehnte er ab. Er wollte seine Freiheit nicht aufgeben. Er wollte Maler sein, nicht Mitarbeiter von Bühnenbildnern, obwohl er damit ein sicheres Auskommen gehabt hätte. Und er hätte sich ohne Zweifel auch bei dieser Aufgabe bestens verwirklichen können. Die Aufgabe als Bühnenmaler war für ihn aber nur ein „Brotjob“, so wie auch seine restauratorischen Aufgaben, die er mit höchster Präzision erledigte. Seine wirkliche Berufung war hingegen die freie Malerei.
Betrachtet man Mario Faltins Bilder, so fällt auf, dass sie dem Theater durchaus sehr nahe stehen. Es handelt sich – trotz aller Abstraktionen – um figürliche Werke. Der Mensch steht im Mittelpunkt, bisweilen auch das Tier. Vor allem interessierte er sich für die Darstellung psychischer Seinszustände des Menschen beziehungsweise des zwischenmenschlichen Gefüges innerhalb unserer Gesellschaft. Es ging ihm um das Theater der Menschheit.
Sehr viele seiner Bilder rekurrieren auf das Theater. Dargestellt sind verschiedene Bühnenkünstler und Akrobaten, so etwa auf den Gemälden „Iron Man“, „Trommler“, „Close to the Edge“, „Auf einem Bein“ oder „Spagat“. Das Gemälde „Künstler“, das eine dürre Gestalt zeigt, die gerade über ein Seil balanciert, steht sowohl für den Bühnenkünstler, der sein Können dem Publikum präsentiert, als auch für die Situation des Künstlers ganz allgemein, der auf einem dünnen Drahtseil durch das Leben geht, immer in der Gefahr abzustürzen. Kann man es als ein Selbstbildnis von Mario Faltin lesen, der sich zwar auf dem dünnen Seil halten konnte, aber stets den Abgrund vor Augen hatte?
Wenn auch viele seiner Werke durchaus ernst sind und nachdenklich stimmen, so gibt es auch humorvolle Nuancen, etwa wenn Mario Faltin drei Köpfe mit Heiligenscheinen in die Mitte einer riesigen dunklen Fläche platzierte und das Bild „Drei Scheinheilige“ nannte. Oder sein absurd anmutendes Gemälde „Affentanz“, das einen über einer Reihe Flaschen schwebenden Menschen zeigt, gerade im Begriff über sie zu springen und nach den ersten der Reihe zu greifen.
Mario Faltins Bilder sind stark farbig. Er weiß mit den Farbwerten hervorragend umzugehen, kennt die Wirkungen von Komplementärkontrasten und das Wechselverhältnis der verschiedenen Tonigkeiten. Während er in den 1980er Jahren eine Phase eines glatter ausgeführten, in der Farbe reduzierteren Realismus durchlief, in dem er sich vorrangig dem Thema Frau und Akt widmete, erarbeitete er sich in der Zeit danach eine freiere Formsprache, die wesentlich expressiver angelegt war. Doch immer war er auf der Suche nach den Möglichkeiten gegenständlicher Wiedergabe, der Darstellung von Bewegung und Platzierung des Menschen im Raum. Mario Faltin war in seiner Malerei durchaus Traditionalist. Ihn interessierte im ganz herkömmlichen Sinne der Einfall des Lichts, die Verteilung der Gegenstände auf der Fläche, die sich zu einer ausgewogenen Komposition zusammensetzen sollten, oder die Übertragung von Raum, Volumen, Materialität und Bewegung in die Zweidimensionalität. Er selbst nannte es 1999 „Das Tafelbild als Projektionsfläche medialen Geflirres.“ Damals probierte er gerade aus, wie ein Bild funktionieren kann, das kein oben und unten, kein rechts und links mehr kennt: Perfekte Komposition und Farbverteilung der trotzdem figürlich bleibenden Bilder.
Bisweilen fühlt man sich an große Meister wie Oskar Kokoschka erinnert – etwa bei den Bildern wie „Handyman“, „Telefonieren unter freiem Himmel“ oder „Sportlerin“. Hier bediente er sich einer Formsprache, die ihm eventuell auch durch seinen Vater, Willy Faltin, vermittelt wurde. Dieser war Graphikdesigner, doch auch er hatte stets leidenschaftlich gerne gemalt. Seine impressionistisch anmutenden Landschaften und Portraits waren Mario Faltin sein Leben lang vor Augen und vermutlich prägend für seine eigene Malerei.
Von 1971 bis 1978 studierte er bei Professor Reimer Jochims an der renommierten Frankfurter Städelschule. Sein Lehrer arbeitete in einer gänzlich abstrakten Formensprache, was er jedoch nicht zur Maxime für seine Schüler erhob. Er erkannte sein Talent und ernannte ihn sogar zum Meisterschüler. Doch Mario Faltin, der stets auf der Suche nach mehr war, war dies nicht genug. Nach seiner Ausbildung zum akademischen Künstler studierte er zwischen 1978 und 1980 noch Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. Danach zog er nach Berlin, der westdeutschen Ausnahme-Stadt, die genügend Nischen und Alternativen für die Suchenden und Unangepassten ließ.
Heute sind uns Mario Faltins Bilder geblieben als Erinnerung an den viel zu früh Verstorbenen. Sein Gemälde „Die Flieger“ mutet fast wie eine Ahnung seines tragischen Todes an. Menschen fliegen durch die Lüfte wie Taucher im Wasser, der Freiheit entgegen, die bisweilen ein tragisches Ende nehmen kann.
Birgit Jooss
Marios Kunstverstand, seine Abenteuerlust und Neugier gegenüber anderen Kunstsparten hatten immer grundlegenden Einfluss auf unsere Arbeit als Kulturveranstalter.